Lange Zeit waren die öffentlichen Verkehrsmittel nicht annähernd ausgelastet. Viele Nahverkehrsdienstleister haben deshalb den Takt reduziert. Doch ist das immer noch so? MOViNC hat bei ÖPNV-Anbietern in Deutschland nachgefragt und dabei unterschiedliche Handhabungen der Krisensituation zutage gefördert. Überraschend: Vielen Anbietern ist die Problematik verringerter Taktzahlen bei der Notwendigkeit zum Abstandhalten nicht bewusst.
Jetzt, da immer mehr Bundesländer die ersten Lockerungen ankündigen und zunehmend mehr Arbeitnehmer wieder vor Ort antreten müssen, heißt es nämlich: Abstand halten. Doch gerade das ist in schon regulär vollen Bahnen schwierig, da hilft auch eine Mund- und Nasenbedeckung nicht. Die reduzierten Takte verschärfen das Ansteckungsrisiko im ÖPNV.
Wir bei MOViNC haben zusammengetragen, wie die Verkehrsbetriebe der innerdeutschen Knotenpunkte und Großstädte auf die Situation reagieren und wann der reguläre Takt in ihrem Verbundsgebiet wiederhergestellt wird. Nachgefragt haben wir, wer sich in der Pflicht sieht, den Fahrgästen sogar durch einen höheren Takt erst die Möglichkeit zu geben, auch wirklich genug Abstand zu halten.
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Diese Unternehmen haben wir befragt
Bei folgenden Verkehrsbetrieben haben wir nachgefragt. Klicken Sie einfach auf den Eintrag, um zur entsprechenden Stelle im Artikel zu gelangen.
- BVG (Berlin)
- Deutsche Bahn (überregional)
- HVV (Hamburg)
- KVB (Köln)
- LVB (Leipzig)
- MVV (München)
- Rheinbahn (Nordrhein-Westfalen)
- RMV (Frankfurt am Main)
Berliner Verkehrsbetriebe
Seit vergangenen Montag, 4. Mai, haben die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) den ursprünglichen Takt wieder aufgenommen. Nach eigenen Angaben habe man auf Fahrgastrückgänge um drei Viertel reagiert, indem der Takt um maximal 13 Prozent angepasst wurde. Mittlerweile sei wieder ein Anstieg der Fahrgastzahlen festzustellen, vom Normalzustand sei man aber noch immer weit entfernt.
Bereits rund zwei Wochen zuvor haben die BVG den Takt auf vielbefahrenen U-Bahn-Strecken wieder auf 10-Minuten angezogen. Lediglich der Betrieb der U55 setzt weiter aus, um die Ungunst der Stunde für Bauarbeiten zur Anbindung an die Linie U5 umzusetzen, die künftig von Hellersdorf bis zum Brandenburger Tor fahren wird.
Hinter uns liegen schwierige Wochen. Zeit, sich zu bedanken: Bei den BVGerinnen und BVGern für ihren unermüdlichen Einsatz. Vor allem aber bei unseren Fahrgästen für ihren besonnenen Umgang mit der Situation. Und wir sind wirklich begeistert, wie selbstverständlich sie in unseren Verkehrsmitteln die nun vorgeschriebene Mund-Nasen-Bedeckung tragen.
Dr. Rolf Erfurt, Vorstand Betrieb der BVG
Auch erste Kundenzentren und das Fundbüro haben wieder geöffnet. Weiter ausgesetzt bleibt hingegen der Ticketkauf beim Busfahrer. Fahrgäste sind angehalten, zuvor gelöste Tickets eigenständig beim Einstieg zu entwerten bzw. elektronische Zeitkarten an den entsprechenden Lesegeräten an den Türen zu prüfen. Eine Kontrolle durch das Fahrpersonal entfällt.
Der Fahrbetrieb des Ride-Pooling-Angebots BerlKönig, das gemeinsam mit ViaVan realisiert wird, wird weiterhin vorerst nur dem Gesundheitspersonal zur Verfügung stehen. Dazu wann das Sammeltaxi auch wieder von der breiten Öffentlichkeit genutzt werden kann, äußert man sich nicht.
Als einziger der von uns befragten ÖPNV-Anbieter erkennen die Berliner Verkehrsbetriebe die Problematik, dass in den Hauptverkehrszeiten ein Abstandhalten kaum möglich ist. Soweit gut, doch statt konkreter Maßnahmen ist aber auch in Berlin nur ein Appell an die Fahrgäste drin:
Es stimmt: Mit zunehmenden Lockerungen wird es gerade in den Hauptverkehrszeiten eine Herausforderung werden, die Abstände einzuhalten. Wir bitten daher alle unsere Fahrgäste, von der gesamten Länge der Fahrzeuge Gebrauch zu machen und wenn möglich Fahrten in der Hauptverkehrszeit zu meiden.
Jannes Schwentu, Pressesprecher der Berliner Verkehrsbetriebe
Deutsche Bahn
Die Deutsche Bahn verzeichnet nach eigenen Angaben sowohl im ÖPNV, als auch im Fernverkehr nur rund 15 Prozent des gewöhnlichen Fahrgastaufkommens. Zugleich habe man aber nur ein Viertel der Fahrten gestrichen, vor allem solche ins Ausland und touristische Ziele im Inland.
Regional
Über Taktanpassungen entscheiden regional die jeweiligen Aufgabenträger und Verkehrsbünde, die die Bereitstellung über die Deutsche Bahn realisieren. Außerdem stehe man in enger Abstimmung mit den lokalen Behörden, um auf Schulöffnungen und andere Lockerungen im öffentlichen Leben rechtzeitig reagieren kann.
Auch einer Schmierinfektion am Bahnhof wirkt man entgegen: Die Reinigung von Kontaktflächen wie den Displays von Fahrscheinautomaten wurde verstärkt. Die Türen in den Zügen öffnen vielerorts automatisch, sodass eine Berührung der Druckknöpfe entfällt.
Im Fernverkehr
Nur wenige Verbindungen zu den innerdeutschen Urlaubszielen und ins Ausland hat die Deutsche Bahn selbst gestrichen. Sollten sich Fahrgäste dazu entscheiden, eine gebuchte Reise nicht anzutreten, gelten seit dem 13. März umfassende Kulanzregelungen. Über die aktuell gültigen Angebote informiert die Bahn ihre Kunden online.
Alle DB Lounges auf den Bahnhöfen stehen bis auf Weiteres nur den eigenen Mitarbeitern zur Verfügung, um Menschenansammlungen zu verhindern. Einige Reisezentren haben gar nicht geschlossen, alle übrigen werden in den kommenden Wochen wieder öffnen.
Die Zahl der mobilen Reinigungen im Zug ist aktuell verdoppelt, sodass sanitäre Anlagen alle zwei Stunden gereinigt werden. Alle Mitarbeiter sind zudem mit Desinfektionsmittel ausgestattet.
Für den Falle des Verdachts, dass sich Infizierte an Bord befinden, hat die Bahn fest definierte Abläufe erarbeitet. Entsprechend der Empfehlungen des Robert Koch-Instituts und des europäischen Center for Disease Control werden Rettungskräfte über die Leitstelle angefordert, die Fahrgäste zur Distanz aufgefordert und die Züge im Anschluss vollständig desinfiziert.
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Hamburger Verkehrsverbund
Ein Vertreter des Hamburger Verkehrsbundes spricht von einer weitestgehend unveränderten Aufrechterhaltung des Angebots auch während der Krise. Und das trotz eines Einbruchs der Fahrgastzahlen um 70 Prozent. Doch erst seit Kurzem sind auch die Verstärkerzüge bei der U- und S-Bahn wieder im Einsatz.
Seit dem 4. Mai sind bei U- und S-Bahn zusätzlich auch die sogenannten Verstärkerzüge in der Hauptverkehrszeit wieder annähernd vollständig auf der Schiene. Dies erleichtert die Einhaltung der Abstandsregeln auch im Berufsverkehr.
Rainer Vohl, Pressesprecher des HVV
Der HVV tut die Abstandregelung mit der Maskenpflicht in der Bahn und breit kommunizierte Appelle an die Fahrgäste ab, die allgemeinen Verhaltensregeln einzuhalten: „Grundsätzlich ist in diesem Zusammenhang aber natürlich auch die Eigenverantwortung der Fahrgäste gefragt, nicht zuletzt beim Ein- und Aussteigen“, so Rainer Vohl, Pressesprecher der HVV im Gespräch. Eine Notwendigkeit für weitere Züge scheint man also nicht zu sehen, sondern sich allein auf das Verhalten der Fahrgäste zu verlassen. Schwierig nur, dass auch der gesunde Menschenverstand nicht weiterhilft, wenn Bahnen schon normalerweise schlicht zu voll sind.
Kölner Verkehrs-Betriebe
Die Kölner Verkehrsbetriebe waren einer der ersten Nahverkehrsanbieter, die den Regeltakt wieder aufgenommen haben. Schon seit dem 23. April fahren alle Bahnen wieder fast wie gehabt bei 95-prozentigem Angebot. Während der Krise verkehrten die Bahnen nach einem angepassten Samstagsfahrplan und seien zu einem Viertel ausgelastet gewesen.
Wir halten Köln in der Krise mobil, und dafür möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen in den unterschiedlichen Bereichen und Arbeitsfeldern danken, die unter schwierigen Bedingungen Hervorragendes leisten.
Stefanie Haaks
Zur Vermeidung einer Schmierinfektion werden die Haltestangen der Fahrzeuge durch die Fahrer insbesondere an den Endhaltestellen, aber auch bei Anforderung durch die Fahrgäste, mit Desinfektionsmittel gereinigt. Zudem findet eine Komplettdesinfektion jede Nacht statt.
Da die Auslastung immer noch bei nur 25 bis 30 Prozent liege, sehe man keine Notwendigkeit, weitere Züge einzusetzen, sodass die Fahrgäste Abstand halten können. Sollte durch weitere Lockerungen das Aufkommen weiter ansteigen, werde ein Krisenstab gemeinsam mit der Stadt über weitere Maßnahmen entscheiden.
Leipziger Verkehrsbetriebe
Schon am 27. März haben die Leipziger Verkehrsbetriebe wieder für die Kunden geöffnet. Zugleich bittet man aber darum, nur bei dringlichen Anliegen vor Ort vorbeizukommen.
Ein besonderes Mobilitätsangebot ist für die Angestellten der fünf größten Krankenhäuser eingerichtet. Von 22 bis 4 Uhr morgens werden im Rahmen der Kampagne „Flexa für Helden” von Tür zu Tür befördert.
„In der aktuellen Ausnahmesituation wollen wir mit „Flexa für Helden” einen gesellschaftlichen Beitrag leisten und Menschen unterstützen, die in der Pflege oder im Krankenhaus so wichtige Arbeit leisten.
Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe
Die Leipziger Verkehrsbetriebe ließen unsere Anfrage zu den Taktzeiten bislang leider unbeantwortet.
Münchner Verkehrs- und Tarifverbund
Der Münchner Verkehrs- und Tarifverbund als koordinierende Stelle des MVV-Regionalbusverkehrs in den acht Verbundlandkreisen hat schon zu Beginn der Krise reagiert und auf den Ferienfahrplan umgestellt. Außerdem gaben es zusätzliche Verstärkungsfahrten für Schüler. Seit dem 27. April gilt wieder der Regelfahrplan.
Diese Entscheidung bekräftigt ein Blick auf die Fahrgastzahlen, die um 75 bis 80 Prozent zurückgingen. Denn vor allem in der Innenstadt nahm der Anteil stark ab, da viele Schüler nicht mehr vor Ort unterrichtet wurden.
Wir stehen in nahezu täglichem Austausch mit unseren Aufgabenträgern (und den Verkehrsunternehmen vor Ort), um auch weiterhin die Kapazitäten im Blick zu haben und bei Engpässen gemeinsam nach Lösungen anbieten zu können.
Franziska Hartmann, Pressesprecherin des MVV gegenüber MOViNC
Die Notwendigkeit für zusätzliche Fahrten, damit genügend Abstand gehalten werden kann, sehe man aktuell nicht, da die Auslastung noch immer gering ist und per Lautsprecher auf das Tragen einer Mund-Nase-Bedeckung hingewiesen wird. Dennoch stehe man im engen Austausch mit den Aufgabenträgern und anderen Verkehrsdienstleistern, um bei Bedarf gemeinsam nach Lösungen zu suchen.
Rheinbahn
Die Rheinbahn orientiert sich bei ihren Maßnahmen an den Schätzungen des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen vom 11. April. So rechnete man mit einem Fahrgasteinbruch um bis zu 90 Prozent.
Vom 18. März an verkehrten die Züge des Verkehrsbetriebs nach dem Samstagsfahrplan, Sonntags wurde der ursprüngliche Plan beibehalten. Werktags setzte die Rheinbahn zusätzliche Züge als Verstärkerfahrten in der morgendlichen Hauptverkehrszeit ein. Seit dem 28. April ist der reguläre Betrieb bis auf das Nachtangebot an Wochentagen und Feiertagen wiederaufgenommen.
Auf unsere Anfrage hin schien die Rheinbahn die Problematik nicht anzusehen, dass ein Abstandhalten in vollen Zügen kaum möglich ist. Denn entsprechend den Vorgaben der Landesregierung weise man Fahrgäste auf die Pflicht zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und auf das Abstandhalten hin. Auch begleiten Service-Mitarbeiter an den hoch frequentierten Haltepunkten den Einstieg, sodass genug Platz bleibt, den Mindestabstand einzuhalten. Wie genau diese Service-Mitarbeiter in das Geschehen eingreifen, um einen Mindestabstand zu garantieren, auch wenn Züge zu voll sind, darauf ging die Rheinbahn gegenüber uns nicht genauer ein.
Rhein-Main Verkehrsbund
Der Rhein-Main-Verkehrsbund versorgt rund zwei Drittel von Hessen samt der Großstadt Frankfurt. Während der Krise waren rund 20 Prozent der Fahrgäste unterwegs. Deshalb habe man auf ein „stabiles Grundangebot” reduziert, dass rund drei Viertel der üblichen Fahrten umfasste. Seit dem 4. Mai gilt auf den allermeisten Linien ein des regionalen Bus- und Schienenverkehrs wieder der reguläre Fahrplan, hiervon ausgenommen sind allerdings die Nachtlinien.
Die Problematik zu voller Züge zum Abstandhalten siehht man beim Rhein-Main Verkehrsbund nicht:
Auch wenn aktuell weniger Fahrgäste als üblich (Werktag normal rund 2,5 Mio. Fahrgäste) unterwegs sind, bieten wir wieder nahezu das vollständige Fahrten- und damit Sitzplatzanagebot.
Maximilian Meyer, stellvertretender Pressesprecher des RMV gegenüber MOViNC
Auch die E-Scooter-Anbieter sind noch längst nicht alle wieder zum Normalzustand zurückgekehrt.
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