Fahrrad-Vorbild Kopenhagen: Was Berlin von der dänischen Hauptstadt lernen kann

Berlin kann in Sachen Fahrradfreundlichkeit viel von Kopenhagen lernen, meint Erdem Ovacik, Co-Founder des Bike-Sharing-Anbieters Donkey Republic in seinem Gastbeitrag für MOViNC.
Erdem Ovacik, Co-Founder von Donkey Republic. Foto: Donkey Republic
Erdem Ovacik, Co-Founder von Donkey Republic. Foto: Donkey Republic

Berlin kann in Sachen Fahrradfreundlichkeit viel von Kopenhagen lernen, meint Erdem Ovacik, Co-Founder des Bike-Sharing-Anbieters Donkey Republic in seinem Gastbeitrag für MOViNC.

Gastbeitrag von Erdem Ovacik, Co-Founder und CEO des Bike-Sharing-Anbieters Donkey Republic

Plötzlich bewegt sich etwas: Pop-up-Radwege, temporäre wie permanente Spiel- oder Fahrradstraßen, wie Pilze aus dem Boden schießende Fahrradbügel, umgewidmete Parkplätze: In Berlin macht die Verkehrswende gerade einen Sprung wie nie zuvor.

Natürlich ist vieles temporär, zeigt aber, wie eine fahrradgerechtere Stadt aussehen könnte. Corona macht es möglich: Viele Menschen sind gerade in der Hauptstadt vom ÖPNV auf das Fahrrad gewechselt, auch weil sie es als das Verkehrsmittel mit der geringsten Infektionsgefahr erlebten. Sie konnten auf leeren Straßen und zusätzlichen Radwegen erfahren, wie sich entspannt in der Stadt radeln lässt.

Und vielen wurde erst jetzt klar, wie viele Hindernisse normalerweise dem Radverkehr im Wege stehen. Wer diesen Einblick in eine fahrradgerechtere Stadt erlebt hat, wird nicht mehr zum Status quo zurückkehren wollen. Dabei gilt es, auf eine ganze Reihe von Aspekten zu achten: Die Fahrradinfrastruktur, allen voran das Radwegenetz und Parkmöglichkeiten, steht natürlich im Mittelpunkt. Aber auch der Zugang zum Verkehrsmittel Fahrrad ist ein nicht zu unterschätzender Aspekt. Dabei spielen Leih-, Miet- und Sharing-Angebote eine Schlüsselrolle.

Dabei kann es helfen, in andere Städte zu schauen, wo der Radverkehr schon lange eine deutlich größere Rolle spielt. Kopenhagen zum Beispiel, wo auch mein Unternehmen, der Bikesharer Donkey Republic, seinen Sitz hat. Hier sind Fahrräder gegenüber Autos bereits seit Jahren um ein Mehrfaches in der Mehrheit: 2016 standen 120.000 Pkws 675.000 Fahrräder gegenüber. Wie die Stadt mit der Radinfrastruktur, aber auch mit Bikesharing umgeht, was sie richtig macht und was weniger gut, kann auch eine wichtige Lektion für Berlin sein. Dabei gibt es aus meiner Sicht vor allem drei Faktoren, die für Berlin wichtig sind.

1. Das Offensichtlichste: Wer den Radverkehr stärken will, braucht eine gute Infrastruktur.

In Kopenhagen sind so viele Menschen aufs Rad umgestiegen, weil es dort eine solche gibt. Während in Berlin auf die Schnelle Fahrstreifen zu Radwegen umfunktioniert werden, setzt Kopenhagen schon lange auf eine unabhängige Radinfrastruktur: Die Stadt verfügt über ein 400 Kilometer langes engmaschiges Netz von Radwegen, die nicht nur Anhängsel von für den Autoverkehr konzipierten Straßen sind. Stattdessen sind sie so miteinander verknüpft, dass sie es ermöglichen, per Rad schneller von A nach B kommen als mit dem Auto.

Das muss das Ziel sein: Radfahren attraktiver zu machen als Autofahren. Auch Ideen wie eine erhöhte und vom Straßenverkehr vollkommen unabhängige Rad-Autobahn oder Orte, die sich nur per Fahrrad erreichen lassen, machen Kopenhagen zu einer Stadt, in der sich der Fahrradverkehr nicht hinten anstellen muss. Berlin geht mit den geplanten Radschnellwegen erste Schritte in diese Richtung – Kopenhagen kann ein Beispiel sein, wie es funktionieren und welche positiven Auswirkungen es haben kann, fürs Rad zu planen.

2. Moderne Städte sind für Autos gebaut – diese genießen bis heute Privilegien.

Das ist trotz aller Fortschritte auch in Kopenhagen so. Dort wird etwa Autoparken noch immer subventioniert und Parkraum künstlich billig gehalten. Fahrradstellplätze dagegen sind streng begrenzt. Innerstädtisches Autofahren wird so erleichtert, während Radfahrern unnötig Steine in den Weg gelegt werden. Deshalb gibt es eine leidenschaftliche Debatte darüber, diese Ungleichbehandlung aufzuheben. Das geht eigentlich ganz einfach: Autofahrer müssen fürs Parken so viel bezahlen, wie es kostet, das entsprechende Stück öffentlichen Raum, für diese Nutzung freizuhalten, und die Anzahl von Fahrradstellplätzen muss, gemessen an der Gesamtzahl der Fahrzeuge, mindestens derer für Pkws entsprechen. Diese Diskussion beginnen wir gerade in Kopenhagen zu führen und sie ist auch in Berlin längst überfällig.

3. Wer geteilte Mobilität wie Bike- oder Carsharing fördern will, muss Regulierung möglichst reduzieren, richtig? Falsch, das Gegenteil ist der Fall!

Regulierung unterstützt geteilte Mobilität. Das zeigt ein Vergleich zwischen Berlin und Kopenhagen: In der deutschen Hauptstadt ist es recht einfach, neue Sharing-Angebote zu etablieren. Das Ergebnis: Die Stadt wurde von geteilten Fahrrädern und E-Scootern regelrecht überflutet. Ein Überangebot verdrängte kleinere Anbieter, sorgte für Chaos im Stadtraum und förderte das Image von Sharing als Billigangebot, das mehr schadet als nützt.

Anbieter betraten den Markt und verließen ihn schnell wieder, weil die Wirtschaftlichkeit angesichts der Schwemme nicht gegeben war. Das hat die Verlässlichkeit und damit das Vertrauen in Sharing-Modelle nachhaltig untergraben und lässt viele zögern, solche Angebote zu nutzen.

Anders Kopenhagen: Dort wird die Anzahl der vergebenen Lizenzen streng limitiert und kontrolliert. So lässt sich immer nachvollziehen, welche Anbieter am Markt sind, wie sie agieren, wie viele Fahrzeuge es gibt und wie sich das Angebot zur Nachfrage verhält. Das Ergebnis: Es gibt deutlich weniger Anbieter, dafür stehen diese auf wirtschaftlich stabileren Füßen, investieren langfristig und geben nicht bei der ersten Krise auf.

Eine richtige Regulierung schafft so ein stabileres und zuverlässigeres Angebot. Vielerorts hat Corona wie ein Katalysator für die Verkehrswende gewirkt. Jetzt gilt es, die entstandenen Chancen zu nutzen. Ein Blick über den Tellerrand kann dabei helfen zu sehen, was andernorts funktioniert – und was man lieber vermeidet.

Erdem Ovacik ist Co-Founder und CEO des Bike-Sharing-Anbieters Donkey Republic. Er hat einen Master in Public Policy der UC Berkeley gemacht, lebt in Kopenhagen und genießt dort die großartige Fahrradinfrastruktur. Er bloggt regelmäßig über aktuelle soziale Themen.

Der Bike-Sharing-Dienst Donkey Republic hat seinen Sitz in Kopenhagen. Die Mission des 2015 von Erdem Ovacik, Jens Frandsen, Alexander Frederiksen und Rune Kokholm gegründeten Unternehmens ist es, mehr Menschen aufs Rad zu bringen und einen weltweiten Fahrradverleih aufzubauen, der sich vor allem durch zwei Dinge auszeichnet: eine einfache, flexible Ausleihe und einen nachhaltigen, sozial- und ressourcenverträglichen Betrieb. Laut Unternehmensangebaben hat Donkey Republic mehr als 450.000 Nutzer in mehr als 60 Städten in 15 Ländern in Europa und den USA.

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