Ein Gastbeitrag von Philipp von Lamezan, Co-founder und CEO bei SQUAKE
Wer reist, ist glücklicher, erholter und bekommt einen veränderten Blick. Das beweisen verschiedene Studien oder ein Gespräch mit Kolleg:innen über den letzten Urlaub. Insbesondere die Deutschen verreisen sehr gerne und viel, vergangenes Jahr 65 Millionen mal.
Auch nach 50 Jahren unverändert: Die große Sehnsucht Neues zu entdecken
Die Gründe dafür bleiben laut der jährlichen Reiseanalyse der Forschungsgemeinschaft für Urlaub und Reisen seit 50 Jahren gleich. Ganz vorne dabei sind Bedürfnisse wie “Abstand zum Alltag gewinnen“, „Spaß, Freude und Vergnügen haben” und “Sonne, Wärme, schönes Wetter”. Viele fassen das alles mit den Worten “einfach mal rauskommen” zusammen.
Reisen sind ein essentielles Bedürfnis, ein bedeutendes Kulturgut und fördern den interkulturellen Austausch. Doch anders als noch vor 50 Jahren wissen wir heute, dass jeder Urlaub – insbesondere Fernreisen und Flugreisen – CO2-Emissionen verursacht und somit zur Erderwärmung beiträgt. Infolgedessen hat die Tourismusbranche in den letzten Jahren viel Kritik einstecken müssen und steht nun vor der Herausforderung, sich nachhaltig und verantwortungsvoll neu zu orientieren. Der Massentourismus verliert zunehmend an Attraktivität – und das nicht nur bei Reisenden, sondern auch bei den Menschen, die an den überlaufenen Hotspots leben. Um dem entgegenzuwirken, wurden bereits an vielen beliebten Reisezielen strengere Maßnahmen ergriffen: Eintrittspreise wurden erhöht, Besucherzahlen limitiert und neue Regeln eingeführt, um die negativen Auswirkungen des Tourismus zu minimieren.
Tourismus kann sich laut einer Studie positiv auf die CO2-Effizienz von Urlaubsorten auswirken
Jetzt aber hat eine wissenschaftliche Studie, die in der renommierten Wissenschaftszeitschrift Nature veröffentlicht wurde, gezeigt, dass der Tourismus tatsächlich auch eine positive Wirkung auf die CO2-Effizienz haben kann. Eine Analyse von 31 chinesischen Städten zwischen 2005 und 2022 ergab, dass die CO2-Effizienz zunächst zurückging, um dann im Verlauf der Untersuchung schrittweise zu steigen.
Die Forschenden haben herausgefunden, dass insbesondere zwei Faktoren eine wichtige Rolle spielen:
Strengere Umweltregulierung: Der Schlüssel für die Reduzierung des ökologischen Fußabdrucks sind strengere Umweltauflagen, die von den chinesischen Städten eingeführt wurden.
Nachhaltige Infrastruktur: Der Anstieg des Tourismus hat viele unterstützende Branchen entstehen lassen, von Hotels bis zu Restaurants. Durch die strengere Regulierung wird zunehmend auf umweltfreundliche Strukturen geachtet. Beispielsweise ersetzen erneuerbare Energien fossile Brennstoffe, E-Autos den Verbrenner und nachhaltige Baupraktiken lösen schnell hochgezogene Betonburgen ab, was sich ebenfalls positiv auf die CO2-Effizienz ausgewirkt hat.
Auf dem Weg zum emissionsarmen Fliegen
Ein nachhaltigerer Tourismus ist realistisch, aber der Umstieg braucht Zeit und muss gut durchdacht werden. Besonders die Anpassung der Infrastruktur im Flug- und Hotelsektor ist eine anspruchsvolle Aufgabe und verläuft in langfristigen Entwicklungszyklen. Bis Fliegen und Hotellerie wirklich emissionsarm oder sogar emissionsfrei sind, wird es daher noch einige Jahre in Anspruch nehmen.
Bis es soweit ist, ist es wichtig, die Reisenden mit einzubeziehen. Mit moralischen Appellen und dem Aufruf, auf Reisen zu verzichten, hat das allerdings nichts zu tun. Es geht darum, es den Reisenden so einfach, bequem und intuitiv zu machen, sich für die nachhaltige Variante zu entscheiden und sie in diese Richtung zu sensibilisieren: Gibt es Alternativen zum Flug? Oder falls ich nicht darauf verzichten kann, wie kann ich meinen CO2-Verbrauch aktiv reduzieren? Da gibt es viele Möglichkeiten: Auf moderne Flotten achten, die auf der gleichen Strecke effizienter sind, auf großes Gepäck verzichten, Economy fliegen. Am besten wird das von den Airlines nicht nur aktiv kommuniziert, sondern auch incentiviert.
SAF (Sustainable Aviation Fuel) spart bis zu 80 % der CO2-Emissionen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen. Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten: Airlines wie Lufthansa und Swiss bieten ihren Passagieren bereits an, die Klimabilanz des eigenen Flugs gegen Aufpreis ganz oder zum Teil mit SAF zu kompensieren. Auf dieser modernen Antriebstechnologie liegen große Hoffnungen. Ziel ist es, Kohlenstoff aus Biomasse oder Gasen wiederzuverwenden und in Kerosin umzuwandeln. Damit wird fossiles Kerosin oder Erdöl ersetzt. Der Prozess ist allerdings nur ein erster Schritt hin zu einem vollständigen CO2-Zyklus: Der Kraftstoff wird verbrannt, das freigesetzte Kohlendioxid wird beispielsweise durch Biomasse wieder aufgenommen und erneut in Kraftstoff umgewandelt. So spart SAF bis zu 80 % der CO₂-Emissionen im Vergleich zu fossilen Brennstoffen ein. Um vollständig CO2-neutral zu werden, müssen jedoch die Herstellungs- und Lieferprozesse alternativer Brennstoffe weiter optimiert werden. Aktuell wird an Forschungen gearbeitet, wie Emissionen vollständig neutralisiert werden können.
Nachhaltigkeit wird zum Gütesiegel
Der zunehmende Druck auf die Branche, sich weiterzuentwickeln, wird in den kommenden Jahren dazu führen, dass Nachhaltigkeit neben Preis, Zeit und Bequemlichkeit eine immer zentralere Rolle spielt. Eine ähnliche Entwicklung haben wir bereits in der Lebensmittelindustrie gesehen. Heute ist der Nutri-Score weit verbreitet, mit dem Verbraucher den Nährwert von Lebensmitteln schnell checken können. Eine vergleichbare Transparenz könnte bald auch in der Luftfahrtbranche Realität werden. Technisch ist es bereits jetzt möglich diese Entscheidungshilfen für den Reisenden direkt in den Buchungsflow so zu integrieren, dass er nicht stört. Stattdessen wird das Bewusstsein geschärft, unnötige Emissionen zu vermeiden oder mit Optionen wie SAF einen zusätzlichen Beitrag zur Reduktion zu leisten.
Zukünftig wird das Kundenverhalten nicht nur die günstigste, sondern auch die nachhaltigste Option belohnen – eine Kombination aus Reisezeit, Bequemlichkeit, Kosten und Umweltbewusstsein. Besonders in Europa wird dieser Trend durch die geplanten Regulierungen noch verstärkt. Die Nichteinhaltung von Nachhaltigkeitszielen wird zunehmend sanktioniert, was den Druck auf Fluggesellschaften weiter erhöht.
Wer glaubt, dass dies nur ein „B2B“-Problem betrifft, liegt falsch. Die Mehrkosten, die durch die Bemühungen der Airlines entstehen, ihre Flotten zu modernisieren und in nachhaltige Kraftstoffe (SAF) zu investieren, werden letztlich an die Reisenden weitergegeben. Das bedeutet höhere Preise, aber auch eine deutliche Reduzierung der Emissionen für eine Auszeit vom Alltag. Und genau das ist in diesem Kontext positiv zu bewerten. Lange wurden die ökologischen Kosten des Tourismus nicht in den Flug- oder Hotelpreis eingerechnet, genau das ändert sich jetzt. Für eine gesündere und nachhaltigere Reisebranche, die allen zugutekommt.
Über den Autor
Philipp von Lamezan, CEO und Mitbegründer bei SQUAKE, ist Stratege und Unternehmer, der sich auf digitale Unternehmen spezialisiert hat.
Bevor er SQUAKE mitbegründete, arbeitete er ein Jahrzehnt lang in der Tech-Industrie vom Silicon Valley bis nach Europa. Er war für Scaleups wie Medwing als VP Growth und Outfittery als Head of Strategy tätig, wo er die gesamte Geschäftsstrategie einschließlich Skalierung und Optimierung interner Prozesse leitete. Außerdem unterstützte er Startups und Scaleups in ganz Europa als Berater und Mentor, um ihnen zu helfen, ihr Wertangebot zu definieren und Investitionsstrategien zu entwickeln.
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