re:publica: Talk zum Thema Mobilität

re:publica-Debatte: Wie die Mobilitätswende gelingen kann

Deutschland ist ein Autoland. Noch: Auf der re:publica proklamieren zwei Industrie-Expertinnen den Start in eine neue Zeit nach dem 9-Euro-Ticket.

Deutschland gilt als das Autoland schlechthin. In der EU ist es mit über drei Millionen Fahrzeugen jährlich der größte Produzent von Kraftfahrzeugen, so eine Einschätzung des Industrieverbands OICA. Nur wenige Länder produzieren so viele Autos und auch bei den Exportzahlen ist Deutschland ganz vorn dabei.

Mit der Mobilitätswende tun wir uns hingegen schwer. Auf der Konferenz re:publica hatten Olga Nevska, CEO bei Telekom MobilitySolutions, und Nari Kahle, Autorin des Buchs „Mobilität in Bewegung“, diskutiert, was gute Mobilität ausmacht und wie die Mobilitätswende beschleunigt werden kann.

Das Problem mit der Mobilitätsentwicklung

Neue Mobilität ist ein klassisches Henne-Ei-Problem. Vielen deutschen Firmen fehlt schlicht der Pioniergeist, denn Investitionen in neue Mobilitätsangebote sind kurzfristig nur dann wirtschaftlich, wenn es auch genug Nutzer gibt. Aber Menschen sind Gewohnheitstiere. Es braucht zuverlässige und bequeme Alternativen zum Auto, um sie zum Umstieg zu bewegen. „Wir alle haben die Schubladen im Kopf“, meint die Autorin Nari Kahle.

In Paris, Kopenhagen und Barcelona wird schon heute das Autofahren erschwert. Oft ist man dort mit dem Fahrrad oder zu Fuß deutlich schneller unterwegs. Deutsche Kommunen halten sich mit Verkehrseinschränkungen noch zurück. Pilotprojekte wie autofreie Abschnitte auf der Friedrichstraße und die Pop-up-Radwege in zahlreichen Berliner Bezirken stoßen auf viel Gegenwind. Noch immer dominiert der Verbrenner die Straße.

9-Euro-Ticket als Sprungbrett

Eine Chance sieht Olga Nevska im 9-Euro-Ticket: „Es ist eine Chance, den Nahverkehr so bezahlbar zu machen, dass alle davon profitieren“, sagt sie auf der re:publica. Wenn Menschen die Vorteile des Nahverkehrs erleben, sei der Groschen oft schon gefallen und sie denken darüber nach, dauerhaft auf den öffentlichen Personenverkehr umzusteigen. „Ich bin sehr gespannt wie es weitergeht und hoffe, dass wir so viele Menschen von multimodaler Mobilität begeistern können.“

Man müsse aber auch aktiv bei Firmen für den Nahverkehr werben. Bei 30 Prozent der Neuzulassungen handelt es sich um Dienstwagen, fand Telekom MobilitySolutions heraus. Der Gesetzgeber könne hier den nötigen Rahmen setzen, rät Olga Nevska von der Telekom.

Ein neues Gesetz zum autonomen Fahren könnte Besserung bringen. Manche Akteure der Mobilitätsszene loben es bereits als Wegbereiter zum zuverlässigen Nahverkehr auf dem Land. Denn Deutschland ist das erste Land, das autonomes Fahren der Stufe 3 – also auch ganz ohne Beisein von Fahrerinnen und Fahrer – in vorher definierten Straßenabschnitten erlaubt.

How To Mobilitätswende

Auch eine universelle Mobilitätsapp für Deutschland kann zur besseren Akzeptanz beitragen. Denn Mobilität muss einfach sein. Berlin macht vor wie das geht: Die App Jelbi der städtischen Verkehrsbetriebe vereint Mobilitätsangebote aus den Sektoren Individualverkehr, geteilte Mobilität und öffentlicher Personenverkehr. Die multimodale Suchfunktion der Anwendung schlägt den kürzesten Weg vor und berücksichtigt dabei alle Verkehrsformen, für die die Nutzenden ihr Konto freigeschaltet haben. Das können etwa der ÖPNV, E-Scooter, Leihräder und -autos sein. Fahrten können direkt über die App gebucht und Leihfahrzeuge entriegelt werden.

Zum Thema: BVG-App Jelbi zieht Bilanz – ein Jahr multimodale Mobilität

Intelligente Wegeleitsysteme und klare Informationsangebote sind genauso wichtig für den Ausbau des Nahverkehrs wie eine dichte Taktung. „Mobilität ist für Menschen, das ist keine Technik, die wir einfach irgendwo hinstellen können“, meint Nari Kahle. Dabei dürfe man aber nicht die Menschen vergessen, die kein Smartphone besitzen. Es muss für alle sofort ersichtlich sein, welches Gleis das Richtige ist. Angefahrene Haltestellen müssen proaktiv kommuniziert werden, Fahrtrouten dürfen sich nicht hinter einer Nummer verstecken.

Ein weiterer Baustein zum Erfolg: Mobilität muss für alle gedacht werden. „Wir sind viele unterschiedliche Menschen“, stellt Nari Kahle fest. „Warum sollte das bei der Mobilität nicht auch so sein?“ Bei der Mobilität darf man niemanden ausschließen: Großstädte sind oft schon gut aufgestellt. Aber auf dem Land fehlen vielerorts noch die Alternativen zum Auto. Bei multimodalen Angeboten müssen verschiedenste Bedürfnisse abgedeckt sein: Von Kindern bis zu mobilitätseingeschränkten Menschen und solchen, die sich nachts nicht allein auf Bahnsteige trauen.

Mobilität heute und in Zukunft

Über Bundesländergrenzen hinweg funktionieren gemeinschaftliche Herangehensweisen bislang nur schlecht. Auch wenn es sehr erfolgsversprechend für die einzelnen Konzerne sein kann, die jeweiligen Kompetenzen zu bündeln, da sind sich die Expertinnen auf der re:publica sicher.

„Ich wünsche mir, dass die Mobilität in der Zukunft viel bunter und vielfältiger wird, wie wir alle in der Gesellschaft es sind“, bilanziert Nari Kahle. Bedarfsorientiert, fair, nachhaltig, vernetzt, für alle: So sollte die Mobilität der Zukunft aussehen.

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